- Extrem anspruchsvolle Zeiten, doch: Krisen sind die Zeit, Weichen neu zu stellen
- Corona-Pandemie hat eine ganz andere Tragweite als Finanzkrise 2008
- BAM muss nahezu ohne Hilfen der Politik auskommen
- Online-Geschäft ist das größte Plus
- Umdenken wird zu De-Globalisierung & Digitalisierungsschub führen
Das Jahr 2020 lässt sich wohl kaum anders als mit den Worten „schwierige Zeiten“ beschreiben. Gerade für KMU in Fertigung und Maschinenbau gibt es wenig schönzureden. Dazu zählt auch die BAM GmbH in Weiden, die 2011 als klassischer Lohnfertiger startete und heute als innovatives Digitalunternehmen gilt. Seit seiner Gründung konnte der Betrieb mit seinen Schwerpunkten Präzisionsfertigung und Sondermaschinenbau dynamisch wachsen, doch die Corona-Pandemie bringt ganz neue Herausforderungen mit sich. Welche Qualitäten jetzt gefragt sind, wie wichtig Flexibilität ist, wie man trotzdem an Aufträge kommt und – vor allem – wie man gestärkt aus der Krise kommen kann, erzählt BAM-Geschäftsführer Marco Bauer im Interview mit Technology Evangelist Ralf Schnurr.
Die Corona-Pandemie verlangt vielen Unternehmen alles ab. Wie haben sich die letzten Monate für Dich und BAM gestaltet?

Extrem anspruchsvoll, sowohl persönlich als auch für unser Unternehmen. Es sind ständig wechselnde Phasen: von dem Moment, als wir innerhalb von zwei Stunden die komplette Verwaltung ins Home-Office geschickt haben, über den Lockdown sowie Hamsterkäufe von Kunden, die Sorge hatten, dass die Materialversorgung problematisch werden könnte, bis zum starken Rückgang von Aufträgen und der damit verbundenen Kurzarbeit für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ein echtes Wechselbad der Gefühle. Die Pandemie wird uns auch noch lange Zeit beschäftigen. Wir planen von Woche zu Woche und müssen von Tag zu Tag auf die Entwicklungen des Geschäfts reagieren. Die Zeiten, in denen es immer nur steil bergauf ging und einem die Aufträge in den Schoß gefallen sind, sind vorbei. Man muss rausgehen, Kaltakquise machen, einfach um jeden Auftrag kämpfen.
Aber wir versuchen an der Situation zu wachsen und uns stetig weiterzuentwickeln. Die Welt geht nicht unter. Wir denken positiv. Für mich ist die Frage: Wie möchte ich mein Unternehmen jetzt aufstellen, damit wir aus dieser Krise stärker herauskommen als wir reingegangen sind? Jetzt ist die Zeit, Weichen zu stellen.
Du hast in Deiner Zeit als Angestellter hautnah erlebt, wie ein Unternehmen an einer Krise zugrunde geht. Welche Lehren hast Du aus diesen Erfahrungen für die aktuelle Situation mitgenommen?
Ja, ich musste diese Erfahrung als Folge der Finanzkrise von 2008 machen. Vielleicht haben wir darum schneller reagiert als andere. Aber die Situationen sind schwer zu vergleichen. Dadurch, dass die gegenwärtige Lage auch und vor allem die Gesundheit von Menschen betrifft, hat sie eine ganz andere Tragweite.
Wie bewertest Du die aktuellen Rettungspakete der Regierung? Konnte Dein Unternehmen davon profitieren?
Eigentlich nicht. Wir haben mehrere Sondersituationen. Wir haben durch unsere starken Partner im Gesellschafterkreis in den letzten beiden Jahren massiv investiert. Nach Bilanzbewertungsgesichtspunkten ist unsere Bilanz daher einfach nicht „schön“, obwohl wir zu 95% bankenneutral finanziert sind. Das bedeutet für uns, dass wir von den Programmen nicht profitieren können. Wir haben nur die Soforthilfe in Bayern in Anspruch genommen, die in unserer Unternehmensgröße aber nicht lange wirkt. Unser Tochterunternehmen up2parts GmbH, unsere Softwareunternehmung für digitale Prozesse in der Fertigungsbranche, ist von der Soforthilfe sogar ganz ausgenommen, weil es jünger als fünf Jahre ist und in einem innovativen, digitalen Geschäftsfeld unterwegs ist.
Hört sich erstmal wenig positiv an. Was stimmt Dich dennoch optimistisch für die Zukunft?

Wir haben ein tolles, motiviertes Team, starke Partner und einen hochmodernen Maschinenpark – dafür sind wir dankbar und das ist eine sehr positive Aufstellung für die Zukunft. Zudem kommt uns unsere konsequent digitale Ausrichtung zugute. Zum Beispiel hatten wir keinerlei Probleme, einen Großteil unserer Belegschaft kurzfristig ins Home-Office zu verlagern. Das lief nahezu reibungslos.
Unser größtes Plus ist unser digitalisierter Geschäftsbereich, unsere Digital Services. Wir verstehen uns als digitaler Lohnfertiger, da wir konsequent auf digitalisierte Prozesse setzen und einer der wenigen Betriebe sind, die eine On-Demand Manufacturing Plattform betreiben. Das heißt, bei uns kann man nicht nur auf dem klassischen Weg Bauteile bestellen, also beispielsweise mit einer PDF-Zeichnung per E-Mail, sondern über unsere Online-Plattform mipart.com. Hier können Kunden CAD-Modelle hochladen, eine künstliche Intelligenz errechnet innerhalb weniger Sekunden automatisiert einen Preis, der Kunde kann zwischen verschiedenen Materialien und Fertigungsverfahren auswählen und direkt bestellen. Damit haben wir das private E-Commerce-Shopping-Erlebnis in die Industrie gebracht.
Aber auch viele private Nutzer bestellen bei uns, beispielsweise Hobby-Bastler oder Auto-Tuner, weil wir auch Bestellungen mit Stückzahl 1 zu einem attraktiven Preis anbieten können – eine weitere Konsequenz aus unserer digitalen Ausrichtung und Automatisierung in der Fertigung. Das Online-Geschäft ist trotz Krise stabil bis steigend. Das stimmt optimistisch.
Mit den Erfahrungen der letzten Monate im Hinterkopf. Wird sich Deine Strategie in Zukunft ändern?
Eigentlich nicht. Ändern könnte sich unsere Strategie höchstens hinsichtlich der Branchen und Märkte, die wir adressieren. Auch stellt sich die Frage, ob wir vermehrt Güter produzieren, die aktuell „nützlich“ sind, wie beispielsweise Produkte für die Medizintechnik.
Ich sehe Ansätze einer De-Globalisierung. Der weltweite Lockdown, die Einschränkungen der Reisefreiheit und die Probleme beim internationalen Warentransfer müssen aus meiner Sicht zu einem Umdenken führen. Man wird hoffentlich wieder mehr Produktion nach Deutschland und Europa holen, zumindest als zweite Quelle. Wenn weltweite Systeme zusammenbrechen, werden gewisse Abhängigkeiten erst deutlich.
Ich sehe uns in unserer digitalen Ausrichtung bestätigt und bin davon überzeugt, dass unser Online-Kanal noch großes Potenzial hat, auch wenn diese Art der Bauteil-Beschaffung für viele Kunden noch Neuland ist.
Generell werden die Berührungsängste in Industrie und Fertigung mit digitalen Themen abnehmen. Digitalisierung und Automatisierung sind keine Arbeitsplatzvernichter, sondern können im Gegenteil Arbeitsplätze erhalten. Am Ende des Tages geht es darum, kosteneffizient und wettbewerbsfähig zu produzieren. Und da sehe ich uns mit unseren digitalisierten Prozessen von Kalkulation, über Arbeitsplanerstellung bis Fertigung in einer sehr guten Lage.
Wir waren und sind weiterhin davon überzeugt, dass wir eine ganze Branche nachhaltig verändern können: Unser Anliegen ist, die Digitalisierung in die Fertigungsindustrie bringen. Daran ändert auch Corona nichts.