Losgröße 1 beschäftigt die Industrie. Und auch die Rolle von Digitalisierung und (Schwarm-)Automatisierung in der Fertigung treibt die Produktionsexperten um. Grund genug für Fraunhofer IPA in einer spannenden, digitalen Panel-Diskussion auf genau diese Themen einzugehen. Als Vertreterin eines mittelständischen Lohnfertigungsunternehmens mittendrin: Elisabeth Schärtl, bei der BAM GmbH verantwortlich für den Bereich Automation sowie die Entwicklung innovativer Geschäftsmodelle.
- Schwarmautomatisierung – was ist das eigentlich?
- Digitalisierung & Automatisierung – was haben mittelständische Lohnfertiger davon?
- Wie KMU das Thema angehen sollten
- Zum Nachhören und Downloaden. Das ganze Interview von Ralf Schnurr mit Elisabeth Schärtl
Ralf Schnurr, Technology Evangelist bei BAM, hat die Online-Diskussion verfolgt und anschließend mit Elisabeth Schärtl über die Ergebnisse der Fraunhofer-Veranstaltung gesprochen. Und dabei geklärt, warum und auf welche Weise gerade mittelständische Fertigungsbetriebe sich mit Losgröße 1, Digitalisierung und Automatisierung beschäftigen sollten.

Ralf Schnurr: Elisabeth, bevor wir über Losgröße 1 und Digitalisierung in der Fertigung sprechen, lass uns zum Einstieg bitte zunächst einen Begriff klären: Was kann ich mir denn unter Schwarmautomatisierung vorstellen?
Elisabeth Schärtl: Ich glaube, so einen richtig definierten Begriff „Schwarmautomatisierung“ gibt es eigentlich noch nicht. Meine Vorstellung davon ist, dass sich mehrere Systeme selbst organisieren, wie in einem Schwarm und die auch unabhängig voneinander agieren können. Klassische Automation in der Produktion ist ja heute „in Linie“. Man bricht das jetzt schon langsam auf in Richtung Matrix-Automatisierung, dass es sozusagen verschiedene Inseln gibt. Schwarmautomatisierung würde ich als die nächsthöhere Stufe sehen: Die Automatisierungskomponenten gesellen sich nach Bedarf zusammen, je nachdem wie es in der Produktion nötig ist.
Das klingt sehr spannend. Was sind für dich die größten Herausforderungen in diesem Thema – vor allem in Hinblick auf Losgröße 1?
Die Komplexität der cyberphysischen Systeme, mehr als die Automatisierung per se. Automatisierung ist gerechtfertigt für eine geringe Variantenvielfalt, also für hohe Losgrößen ausgelegt. Dementsprechend ist die Inbetriebnahme von Automatisierungslösungen ziemlich zeitaufwändig. Bei Losgröße 1 hat man nicht die Zeit, dass man große Automation in Betrieb nehmen kann, sondern da muss es schnell gehen, sonst rechnet es sich nicht. Die heutige Automatisierungstechnik ist meiner Meinung nach noch nicht darauf ausgelegt, effizient die Anforderungen für Losgröße 1 zu treffen.
Für wen wäre das ein Thema? Reden wir über Mittelständler oder über eine große Produktion wie beispielsweise in der Automobilindustrie? Wo siehst Du die Schwerpunkte für Losgröße 1?
Ich glaube, das betrifft alle. Weil auch ein Automobilhersteller, der eine riesige Produktion hat, hat in der Endmontage, wo es um Variantenvielfalt geht, geringe Losgrößen. Wie ein Lohnfertiger. Sobald die Variantenvielfalt kleiner wird, ist es ein Automatisierungsthema. Und das betrifft die Großen wie die Kleinen.
Wer tut sich da leichter in der Umsetzung? Siehst Du die KMU im Vorteil oder sind es die Großen, die die Themen treiben?
Da sehe ich definitiv die Großen, die diese Themen treiben, weil sie selbst ganz anders Richtung Automatisierung und Effizienz getrieben werden und auch die Spezialisten im eigenen Haus haben. Ein KMU weiß vielleicht noch gar nicht, was automatisierungs- und digitalisierungstechnisch möglich ist, weil er im ersten Schritt gar nicht die Notwendigkeit sieht, sondern erst, wenn er davorsteht. Große Unternehmen planen langfristiger als ein KMU. Das soll nicht heißen, dass KMU kurzfristig planen, aber da stehen ganz andere Strategien dahinter, auch Kostenstrategien.

Ist das Thema denn trotzdem interessant für KMU?
Meiner Meinung nach ist es für KMU sogar interessanter, weil dadurch können sie sich einen Wettbewerbsvorteil erarbeiten, viel effizienter arbeiten und einen höheren Durchsatz generieren – wenn sie Automatisierung angehen, vor allem in Kombination mit Digitalisierung. Was ein großer Vorteil für KMU ist: sie können auch dem Thema Fachkräftemangel entgegenwirken. Denn wer hat denn die größeren Hürden im Bereich Fachkräftemangel? Das sind mehr die KMU als die großen Unternehmen.
Siehst Du die KMU in der Lage, sich selbst zu helfen oder braucht es jemand, der die KMU unterstützt?
Unterstützung ist zwingend notwendig. Als KMU-Inhaber hat man nicht ständig die Zeit, sich auf Kongressen herumzutreiben und zu schauen, was ist jetzt gerade aktuelle Technologie und welche Technologie passt zu mir. Das sind ja oft Prozessspezialisten und Leute, die das Handwerk gelernt haben, aber mit den Möglichkeiten der Automatisierung per se gar nicht vertraut sind.
Das heißt, es müsste eine Lösung geben, die man hinstellt und die funktioniert?
Genau. Eine große Produktion, die hat Instandhalter, Inbetriebnehmer, etc. Die wissen, wie man mit Automatisierung umgeht, weil sie schon irgendwo Automatisierung haben. Ein KMU wie BAM hat vielleicht jemand, mit dem man eine CAM-Programmierung machen kann, der eine Werkzeugmaschine bedienen kann – aber eine Automatisierung oder einen Roboter steuern, eine übergeordnete Steuerung angreifen oder irgendwelche Inbetriebnahmen zu machen, dafür hat er keine Kapazitäten. Das will er und wird er sich nicht leisten können, weil das ein Overhead ist, der ihm nichts bringt. Der Inhaber muss selber rangehen können und auf einfache Weise eine solche Automatisierung bedienen können.

Zum Nachhören und Downloaden. Das ganze Interview von Ralf Schnurr mit Elisabeth Schärtl. Die Themen: Losgröße 1, Digitalisierung & Automatisierung in der Fertigung.
Gibt es so etwas schon auf dem Markt?
Man versucht es – mit einzelnen Robotik- und Handlingslösungen. Einen ganzheitlichen Ansatz sehe ich aktuell noch nicht. Wir mit der up2parts fangen an, das Thema Digitalisierung in der Fertigung aufzubereiten und das muss natürlich auch auf dem Shopfloor in Stahl und Eisen kommen. Ich sehe aktuell verschiedene Ansätze im Kleinen, aber nicht das ganzheitliche Denken.
Was wäre denn ein Weg, sich in diese Richtung zu entwickeln? Wäre ein Ansatz sich im ersten Schritt auf die Digitalisierung zu konzentrieren?
Definitiv. Es geht darum, mit Digitalisierung die Grundlagen zu schaffen. Dass der KMU weiß: Wo sind meine Sachen? Was wird bei mir verarbeitet? Welche Auslastung der Produkte habe ich? Welche Prozesse sind höher ausgelastet und welche weniger? Dann kann man daraus schließen, was macht Sinn zu automatisieren und wie automatisiere ich es. So habe ich die Möglichkeit, viel zielgerichteter zu automatisieren, als dass ich mir eine Werkzeugmaschine mit einem Roboter hinstelle und dann darauf hoffe, dass er die dritte Schicht durcharbeitet.
Wie hoch sind die Hürden für den Einstieg in die Digitalisierung? Kannst Du das einschätzen?
Aus meiner persönlichen Erfahrung aus eineinhalb Jahren bei up2parts und BAM sind die KMU in der Hinsicht sehr offen für alles, was ihnen das Arbeiten erleichtert. Aber sie müssen den Mehrwert sehen. Deswegen sehe ich die Hürden in Richtung Digitalisierung geringer, als wenn sie sich eine kleine Automatisierung hinstellen. Ein Beispiel ist die Softwarelösung up2parts cloud basic und up2parts calculation: Wo es selbsterklärend ist, ist die Hürde viel geringer, als wenn ich mir irgendwelche komplexen Digitalsysteme hole.
Ist Digitalisierung in der Fertigung ein Generationenthema? Die Lohnfertigerbranche hat ja nicht gerade den Ruf eine digitale Führerschaft inne zu haben. Ändert sich das? Merkst Du, dass die Leute auf dem Weg sind?
Es ändert sich auf jeden Fall, weil alle merken, dass sie etwas machen müssen. Ich würde nicht per se sagen, dass das ein Generationenthema ist. Klar, jüngere sind offener für Digitalisierung, weil sie mit digitalen Medien aufgewachsen sind. Aber ich habe selbst schon die Erfahrung gemacht, dass auch Ältere nicht abgeneigt sind, sondern sagen: das ist jetzt die Zeit. Ich würde das nicht vom Alter abhängig machen, sondern vom Mindset der Personen, wie offen sie für Neues sind.
In der Panel-Diskussion fiel der Begriff „Lights-off-Factory“ – wie wahrscheinlich hältst Du es, dass dies in naher Zukunft eintreten wird?
Sehr gering. Die Idee einer „Lights-off-Factory“ oder „Dark Factory“ gibt es ja schon seit den 80er Jahren. Wenn große Stückzahlen und kleine Losgrößen dahinterstecken, kann man in die Nähe kommen, aber ich habe es noch nicht gesehen, dass in hochautomatisierten Anlagen wirklich weniger Menschen arbeiten. Wenn man sich die großen Anlagen anschaut, beispielsweise bei den Automobilisten: weniger Leute sehe ich nicht in den Werken. Nur die Aufgaben haben sich verlagert. Es steht keiner mehr am Band und legt den ganzen Tag Teile an. Heute gibt es Job-Rotation und die Leute betreuen die automatisierten Anlagen. Ich sehe die „Lights-off-Factory“ für die Zukunft nicht. Es wird das Prinzip in Teilbereichen geben, wo es gerechtfertigt ist, aber für Lohnfertiger – vor allem hinsichtlich Losgröße 1 – sehe ich das weniger. Was aus der Panel-Diskussion schön herausgekommen ist: Die Automation kann ja immer nur ein Teilspektrum des Menschen abbilden. Heutige Technologien sind immer Inselbegabungen, aber die Vielfalt, die der Mensch hat, hat man bis jetzt in der Automation und Digitalisierung noch nicht nachbilden können.
Die Aussage in der Panel-Diskussion, dass der Mensch etwa zehn Jahre Vorsprung hat, fand ich sehr spannend. Einfach durch die Breite seiner Fähigkeiten. Systeme sind inselbegabt und können sonst nichts. Das habe ich auch für mich mitgenommen, dass viele Ängste unbegründet sind und es noch ein weiter Weg ist.
Absolut. Am Schluss hat der Mensch die Entscheidung. So sind alle Systeme – sei es digital oder automatisierungstechnisch – ausgelegt. Bei Künstlicher Intelligenz erklären wir immer, das ist eine Inselbegabung. Wo der Mensch sprechen, greifen, sehen lernt, kann die KI nur eine Sache. Also entweder greifen oder sehen. Und so muss man es mit der Automation sehen. Ein Roboter ist nur ein Arm eines Menschen und der Greifer nur die Hand. Es werden immer nur Einzelbereiche von den Fähigkeiten eines Menschen abgebildet, es braucht oft auch nicht mehr. Aber das muss man sich immer vor Augen halten.
Danke, Elisabeth.

Elisabeth Schärtl
verantwortet bei der BAM GmbH die Entwicklung innovativer Geschäftsmodelle im Bereich Digital Services. Dazu zählt unter anderem die Implementierung neuer Geschäftskonzepte der Maschinenbau- und Softwarebranche, der Ausbau von Business Services in Hinblick auf die Strategieentwicklung und -umsetzung, die Betreuung von Kooperationspartnern sowie der Potenzialaufbau der Robotik. Als Abteilungsleiterin führt sie außerdem den gesamten Bereich Sondermaschinenbau/Automation.